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Ein Aufruf vom Juni 2017

Ein Aufruf vom Juni 2017 – es handelt sich um die Einleitung des Zustandsberichts über die Orgel (Link>), gegeben an den Kirchengemeinderat der Ev.-luth. Innenstadtgemeinde.

Die Große Orgel von St. Marien muss saniert werden – worum geht es?

Die Marien-Orgel vereint Bauelemente aus drei Jahrhunderten – dieses Zusammenspiel gilt es zu bewahren. Die Qualität des vorhandenen Materials ist aber unterschiedlich. Die Orgelbauer der Vergangenheit waren mitunter überfordert oder gehalten, an Zeit und Aufwand zu sparen. Nun aber soll endlich eine qualitätvolle Arbeit ermöglicht werden. Drei Säulen sollen die Aufgabe bestimmen:

Bewahren

Die Orgel wird an 180 Tagen im Jahr öffentlich gespielt. Seit der letzten Überarbeitung 1983 gab es im Jahr 2007 noch eine Ausreinigung und Stimmung des Instruments, doch inzwischen hat sich der Zustand trotz regelmäßiger Kleinreparaturen deutlich verschlechtert.

  • Zahlreiche Pfeifen, insbesondere aus dem Bestand von 1793, klingen nicht mehr oder mit deutlich
    hörbaren Mängeln.
  • Elektrische Bauteile sind verschlissen oder versagen und stellen ein Brandrisiko dar.
  • Windlenkende Funktionsteile mit Leder- und Papieranteilen sind ermüdet und undicht.
  • Die Aufhängungen großer Pfeifen müssen überarbeitet werden, da Absturzgefahr besteht und sich die Pfeifen bereits verformt haben. Viele Pfeifenkörper müssen wegen Verformungen neu gerichtet werden.
  • Mehrere hundert sehr kleine Pfeifen wurden 1983 – vermutlich von der Bauaufsicht unbemerkt – auf zerstörerische Weise stillgelegt, um den Wartungsaufwand zu verringern. Hier ist zu prüfen, inwieweit die Wiederherstellung wünschenswert und möglich ist.(NB: Diese Mängelfeststellungen sind im Bericht photographisch belegt)

Vollenden

Schon der Umbau 1938 war aufgrund eines engen Zeit- und Kostenrahmens und der zeitbedingten Konzentration auf „Wichtigeres“ in der Qualität beeinträchtigt. Weder konnte damals ein der Kirche und dem überlieferten Gehäuse entsprechendes Orgelinnere geplant werden, noch wurde das schließlich gewählte Konzept befriedigend ausgeführt. Hier gilt es, Vorgedachtes zu vollenden:

  • Die barocken Tonumfänge wurden beibehalten, obwohl der Orgel ein modernes Konzept verliehen wurde – hier sind Erweiterungen erforderlich.
  • Die größten Metallpfeifen der Fassade blieben 1938 unvollendet und gaben niemals den richtigen Ton von sich – sie müssen endlich angelängt werden.
  • Die Aufstellung der Pfeifen wurde vorrangig von leichter Realisierbarkeit geleitet. Hier sind klanglich bessere Möglichkeiten zu entwickeln und umzusetzen.
  • Die seit 1770 stets kritisierte Windversorgung stellt in vielen Teilen eine Fortschreibung von Provisorien dar. Sie muss grundlegend überarbeitet werden, um die durch sie erzwungene klangliche Zurückhaltung zu überwinden.

Entwickeln

Um der Faszination Orgelklang auch unter heutigen kulturellen Verhältnissen einen selbstbewussten Stand zu ermöglichen, soll die Bedienung des Instruments auf den heutigen Stand gehoben werden. Zusätzlich sind neben dem klassischen Orgelklang mit seiner überlieferten Musik auch neue Horizonte zu erschließen. Dies soll unter anderem ermöglicht werden durch:

  • Bewahren der historisch wertvollen Baugruppen und des gesamten Pfeifenbestandes unter Ausnutzung der kreativen Potentiale moderner digitaler Orgelsteuerung
  • Herstellung eines modern konzipierten Spieltisches, wobei der vorhandene mindestens als technisches Denkmal bewahrt oder sogar funktional zusätzlich zur neuen Anlage aufgearbeitet wird
  • Beeinflussbarkeit von Pfeifenansprache und Erzeugung besonderer Effekte durch sogenannte Proportional-Magnete und flexible Winddrucksteuerung
  • Ergänzung des klanglichen Bestandes durch modernes Pfeifenmaterial in separat aufgestellten Baugruppen in den vorhandenen bzw. nach Umstellung entstehenden Leerräumen des Orgelgehäuses

Die Problematik des Orgelzustands wurde bereits im Jahr 2000 von der Kirchengemeinde thematisiert. Fünf Orgelbaufirmen wurden zur Begutachtung und Ideenfindung eingeladen. Überwiegend plädierten diese für einen Neubau im alten Gehäuse.
Im Jahr 2009 kam ein Symposium bereits zu etwas differenzierteren Ergebnissen. Auch hier wurde der Ist-Zustand sehr skeptisch beurteilt, das Verständnis für den historischen Wert des Instruments war aber gewachsen. Zudem erkannte man verborgenes klangliches Potential des Instruments.

Schon im Jahr 2006 sah der Kirchgemeinderat in der Stellenbeschreibung für den nachzubesetzenden Kirchenmusiker ausdrücklich die Qualifikation zur Betreuung eines Orgelprojekts vor. Der nunmehrige Organist der Kirche, Karl-Bernhardin Kropf, vormals Orgeldozent an drei Musikhochschulen sowie als Orgelsachverständiger weitergebildet, hat inzwischen im Austausch mit Experten bei diesen ein weiteres Verständnis für das Instrument entwickeln können.

Darüber hinaus hat die internationale Fachwelt in den letzten 20 Jahren ihren Blick auf die Instrumente der Zwischenkriegszeit verändert. Die Bereitschaft zur Würdigung der Besonderheiten der Orgeln jener Jahrzehnte ist stark gestiegen. Sie sind als Kulturerbe anerkannt.

Das für die Sanierung ausgearbeitete Konzept sieht im Ergebnis ein für Musiker und Hörer überregional attraktives Instrument, welches den größten Teil überlieferter Substanz integriert und seine klangliche Persönlichkeit weiter herausarbeitet. Durch eine anzustrebende hohe Qualität der Arbeiten sowie die Umsetzung schon seinerzeit geplanter Ergänzungen wird dem Anspruch der Auftraggeber der Vergangenheit entsprochen und ihm Nachhaltigkeit verliehen.
So wie die Marienkirche selbst und die Astronomische Uhr darin soll auch die Orgel künftig selbstbewusst die hanseatische Mischung aus Bürgerstolz und Frömmigkeit ausstrahlen.

Stand dieser Version des Dokuments: Juni 2017

Anmerkung 2019: Die Überlegungen der Orgelkommission werden die 2009 vorgeschlagenen Möglichkeiten einer historischen Rekonstruktion (im Stile von 1770/1790 unter Verwendung erhaltenen Materials) ebenfalls sorgfältig prüfen. Die im vorangehenden Text genannten Ideen sind in verschiedenen Varianten ausgearbeitet worden, welche von der Kommission diskutiert werden.

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