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Gemalte Spendenaufrufe – damals und heute

Anfang der 80er-Jahre: Wir sind in tiefster DDR-Atmosphäre. Kirchliche Propaganda ist nicht möglich, Werbematerialien für den Gebrauch innerhalb von Kirchen und Gemeindehäusern sind handgemacht.

In der Marien-Orgel sieht es nicht gut aus. Viele der Holzpfeifen aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind von Holzwurm befallen. Letztlich werden die Register Subbass 16′, Gedacktbass 8′, Gedeckt 8′ (I) und Holzprincipal 8′ (I) neu zu fertigen sein. Auch das Schwellwerkgehäuse (Börger 1907) wird ersetzt werden müssen.

Doch zuvor gilt es, Geld zu sammeln. Dazu wird eine vorgeschädigte Pfeife auserkoren und zum Spendenkasten umgebaut. Der traurige Gesichtsausdruck setzt auf „Betroffenheit“ beim Betrachter, ebenso das daneben angebrachte Gedicht (Die Bearbeitung der Pfeife wie auch das Gedicht könnten auf Marien-Pastor Ulrich Nath zurückgehen, der sowohl in Holzbearbeitung wie auch Textgestaltung Geschick besaß). Dazu kommt eine eher auf jugendliche Fertigung schließen lassende Grafik, welche den bösen Holzwurm als Orgelzerstörer darstellt. (In diesem Zusammenhang sei gesagt, dass schon die Xylamon-Behandlung 1938 anscheinend – jedenfalls langfristig – wirkungslos war. Und auch die Hylotox-Behandlung im Jahr 1983 vermochte letztlich nicht mehr, außer als Gift den Menschen zu belasten: Die Orgel hat im Jahr 2019 vier aktive Holzwurm-Befallstellen).

Hier die Pfeife am 2007 vorzufindenden Aufstellungsort auf der Empore (eventuell war sie in den 80er-Jahren im Kirchenschiff aufgestellt). Es handelt sich vermutlich um ein Register aus dem 19. Jahrhundert mit Merkmalen der Winzer-Schule. Das erniedrigte Oberlabium findet sich prinzipiell auf den noch in der Orgel erhaltenen Pfeifen gleicher Machart und war wohl 1938 zur Schwächung dieser Stimmen eingebaut worden. Windverbrauch und eventuell klangliche Ideologie mögen die Maßnahme begründet haben:

Im Jahr 2018 lud die Gemeindepädagogin Sylvi Holtz Kinder ihrer Gruppen ein, einen gemalten Spendenaufruf zu erstellen. Auch hier wird gewissermaßen dramatisch um Hilfe gerufen, doch ist auch schon ein Anteil Humor dabei. Der Aufruf hängt heute im Kinder-Bereich auf dem „Campus“ der Kirchengemeinde.

Das Plakat führt die Rolle der Pfeife „Oktavius“ ein und ist gegliedert nach Punkten, die sich auf der ersten Seite des 2017 veröffentlichten Zustandsberichts wiederfinden. So werden Absturzgefahr, Kurzschlussgefahr, Verunreinigung, verstummte Pfeifen und erneut der Holzwurmbefall thematisiert.

Das Projekt dokumentiert die gute Beziehung, die die Kindergruppen der Gemeinde inzwischen zur Orgel haben (Siehe dazu auch den Bericht von der Kirchenübernachtung 2019)

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